Montag, 27. September 2010
Lebenszeichen
Nihao!
Ein herzliches Hallo!

Du befindest Dich jetzt noch am Anfang eines Beitrags, der die Erlebnisse des letzten Monats zusammenfassen soll. Dieses Update hat einige Zeit auf sich warten lassen. Was mag es wohl Neues geben? Um das aufzuarbeiten, machen wir einen Schritt zurück zum letzten Beitrag, der mit drei Fragen schloss.

Wie ist das Studium an der Beida?

Was lernen wir hier überhaupt? Und wer sind "wir"?



Unser Jahrgang umfasst schätzungsweise fünfzig Studenten aus Kopenhagen, Tübingen und Frankfurt. Ganz genau überblickt und nachgezählt hat das noch niemand.
Ausnahmslos unterrichtet werden wir in der chinesischen Sprache (Kouyu), dem Lesen und der Grammatik (Kewen) sowie der Kultur (Wenhua). Fand der Unterricht in Deutschland noch zweisprachig statt, gebrauchen wir jetzt durchgängig Chinesisch, auch in der Schrift. Einige Abweichungen im Stundenplan kommen darüber hinaus aber dennoch zustande. So existieren zusätzlich noch Kurse zum de Lesen und Verstehen heimischer Zeitungen (Baokan), zur chinesischen Wirtschaft (Jingji), zur Kalligraphie (Shufa) und zum HSK, einem international anerkannten Sprachtest ähnlich TOEFL und DELF. Am Ende steht das Ziel, mindestes 2.000 Vokabeln zu beherrschen.

Was kann man in Beijing sonst noch erleben?
Eine Menge : )



Ich halte Dich nicht lange auf: ja, der Verkehr ist das reinste Chaos... oder etwa nicht? Für uns Europäer ist es zuerst unvorstellbar, dass mehr als acht Millionen Menschen auf dicht bebautem Raum zwischen einer unüberschaubaren Auto- und Fahrradmasse überleben. Theoretisch müssten die Straßen für lebensgefährlich erklärt werden. Aber eben nur theoretisch.
Nach einiger Zeit gewöhnt man sich an das Tempo. Man fließt mit und lernt, seine Umgebung einzuschätzen. Wird dieser Fahrer an der Ampel halten? Wie bewege ich mich ohne Rempler durch die Menge? Wo muss ich auf Fahrräder aufpassen? Wer nimmt auf wen Rücksicht? Sobald man die Spielregeln kennt - achte auf seine Spur; Kurs halten; auf den praktischen Fahrradstreifen; der Einzelne vor Gruppen -, läuft es sich erstaunlich sicher. Es ist faszinierend, wie das Straßensystem funktionieren kann.
Die Situation, nach 22:00 Uhr weder Busse noch U-Bahnen benutzen zu können, solltest Du jedoch tunlichst vermeiden, denn dann diktieren die Taxifahrer den Preis.

Bist Du soweit gekommen, wirst Du auf Deine Mitmenschen aufmerksam, die vorher wie Schatten vorbeihuschten. Am Morgen sind sie genauso müde und muffelig wie Du vielleicht auch, zum Abend hingegen immer ausgelassener. Da ist es nicht verwunderlich, wenn der Busfahrer seinen nahen Feierabend besingt. Die Bürgersteige klappt man deswegen noch lange nicht hoch. Hier kommen plötzlich private Grillwagen ans Licht, um die sich Fremde versammeln und über dem Essen Kontakte knüpfen. Stillstand kennen aber auch die mitternächtlichen Straßen nicht.

Als Westler wärst Du ein bunter Hund, per se eine Attraktion. Photos werden ständig geschossen, mit oder ohne Einverständnis. Hieran regen wir Studenten uns oft genug auf. Man muss sie lieben lernen oder ignorieren, die Blicke über die Schulter und das Gemurmel vom "Laowai", dem Ausländer. Als Fuß- oder Basketball angesprochen zu werden, ist da noch spaßig ; )
Denke einfach daran: Westler im Allgemeinen und Europäer im Besonderen sind grundsätzlich sportvernarrt. Trotz guter Leistungen bei der letzten Weltmeisterschaft ist unsereins aber noch lange nicht gern in Taxis gesehen. Die armen Gestalten, von denen man erwartet, sie wollten ohnehin nur eine kurze Strecke fahren und sie könnten sich nie verständlich machen, stehen meist winkend am Straßenrand.

Wohin unternehmen wir Studenten Exkursionen?
Allmählich nähern wir uns der Gegenwart an.



Unser erster Ausflug führte zur Pekingoper, einer gewöhnungsbedürftigen Tradition. Im 18. Jahrhundert wurde sie erstmals dem Kaiser Qianlong zum Geburtstag dargeboten und gefiel so gut, dass binnen Jahren unzählige Schauspielgruppen zusammenkamen. Mittlerweile gehört sie zur typischen Vorstellung von China.
In der Darbietung verbunden werden gesprochene Texte, Gesang, Tanz und Kampfkunst. Ich behaupte an Dieser Stelle, dass der musikalische Teil für Dich am ungewöhnlichsten wäre. Das Gemisch aus Gongs, Trommeln und "Tröten" klingt schrill und überhaupt nicht melodisch, ist aber eben an die Bewegungen auf der Bühne angepasst. Und was dort vor sich geht ist atemberaubend: die Schauspieler, allesamt mit viel Aufwand geschminkt und martialisch bis prachtvoll eingekleidet, liefern unter anderem circusreife Einlagen, Witz und Emotionen. Einige Opernstücke werden bis heute noch in ausschließlich männlicher Besetzung gespielt.
Wie die Darsteller ausgestattet sind, soll dem Zuschauer etwas über ihren Charakter sagen. Ein rotes Gesicht deutet auf Edelmut und Kraft hin, Weiß auf Hinterlist und Verrat. Ebenso verhält es sich mit der Kleidung und der - denn die Chinesen mögen auch etwas Action - Bewaffnung.



Über ein ganzes Wochenende besuchten wir die Große Mauer und Chengde, eine Stadt nordöstlich von Beijing.
Das Photo, dass Du siehst, ist aus zwei Gründen außergewöhnlich: zuerst, weil kaum Touristen darauf sind. Selbst Chinesen besuchen gern den Abschnitt Badaling, weswegen dieser regelmäßig überfüllt ist. Dass wir ruhig über die Mauer spazieren konnten, verdanken wir der Fahrt zum weiter entfernten Jinshanling.
Zweitens macht die Bauweise der teils schrägen, teils abwechselnd großen und winzigen Stufen die Erstürmung dieses Ungetüms so amüsant wie ein Eichhörnchen auf Koffein. Meine ausdrückliche Empfehlung: nicht rennen!



In Chengde kamen wir in einem Hotel unter. Die Stadt selbst ist trotz bald vier Millionen Einwohnern deutlich ruhiger als Beijing. Unsere Ziele hier waren drei buddhistische Tempel, darunter Pule und Potala, daneben eine Sommerresidenz der Qing-Kaiser sowie der Sledge-Hammer-Rock.



Die Tempel bestechen vorrangig durch ihre Architektur, die gezielt Vorbildern in Tibet nachempfunden wurde und gut erhalten oder restauriert ist. Obwohl die Mönche längst dem Touristenfirlefanz gewichen sind, kann man hier noch Ruhe, Entspannung und Platz für Gebete finden. Besonders gern werden mit Namen beschriftete, bunte Fähnchen an Masten hochgezogen. Bildnisse der Buddhas und Bodhisattva sind geblieben.
Interessant ist auf das Geschichtsbild, das über die Tempel vermittelt wird. Unserer Reiseführerin zufolge wurden sie als Einladung an die Buddhisten erbaut. Gerade den Penchen Lama, sozusagen der zweithöchste Heilige im Buddhismus nach dem Dalai Lama, wollte man in China begrüßen. Von der anderen Seite betrachtet war es ein Versuch, den Buddhismus zu unterwerfen. Ob der Tod eines der Penchen Lama einen Monat nach seiner Anreise also Zufall war, ist fraglich...



Die Sommerresidenz präsentierte sich danach ausgenommen prunkvoll. Am Eingang standen bereits Gebäude aus Sandelholz, von dem noch immer ein schwacher Geruch ausgeht. Allein für Verwandte und Gäste unterschiedlichen Ranges waren hier individuelle Bauten gezimmert worden, ebenso für die Konkubinen des Kaisers. Rund herum ist all das umschlossen von Gebirgshängen und begrenzt von einem See, auf dem wir einige Zeit fahren durften. Die Wasserschlachten waren natürlich eingeschlossen : )



Über besagte Hänge zieht sich eine gepflasterte Straße zu mehreren Pagoden und Aussichtspunkten. Hoch gelaufen sind wir nicht; das hätte Stunden gedauert. Lieber rauschten wir in ungebremsten Omnibussen mal auf, mal ab und genossen die Aussicht.



Zum Abschluss unseres Ausflugs - und zum vorläufigen Ende dieses Beitrags - besuchten wir den Sledge-Hammer-Rock. Oder, wie ihn alle Touristen wegen seiner ansprechenden Form liebevoll nennen, den "Cock-Rock". Und diesen Namen im Zusammenhang mit dem Bild lass bitte einen Augenblick auf Dich wirken : )
Konntest Du ein Schmunzeln unterdrücken? Auf meine Nachfrage, ob da nicht ein Bildhauer seine Finger im Spiel hatte, antwortete unsere Reiseführerin amüsiert, er sei garantiert natürlich entstanden... Wen wundert es also, dass einer Berührung dieses Felsens aphrodisierende und potenzsteigernde Kräfte nachgesagt werden? Ironischerweise wird jedoch der anstrengende Aufstieg heutzutage dank Gondeln zum Kinderspiel.

An dieser Stelle möchte ich den Beitrag für heute beenden. Nein, ich habe noch nicht alles erzählt, aber es muss schließlich ein nächstes Mal geben ; )
Spätestens nach meiner Rückkehr aus der inneren Mongolei am 08. Oktober möchte ich Dir mehr berichten, dann mit tollen Photos und Berichten aus dem Land hinter der Großen Mauer und einigen Informationen zum Handel in China.

Bis dahin: Zaijian!

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